Glaubensfrage VON MARCUS BRÄUER, 30.10.11, 16:35h, aktualisiert 30.10.11, 19:00h
WOLFEN/MZ. In der 15. Spielminute, beim Stand von 6:9 aus der Sicht der HG 85 Köthen, lief Martin Lux vom Angriff - er hatte gerade sein erstes Tor erzielt - in die Verteidigung. Auf Höhe der Mittellinie bäumte er sich auf, sein Gesicht verzog sich zu einer furchteinflößenden Grimasse, der ganze Körper war angespannt. Lux sprang und ruderte mit den Armen, als ein markerschütternder Schrei seinen bebenden Körper verließ.
"Wir haben uns nie aufgegeben"
Das Derby zwischen der HSG Wolfen und der HG 85 Köthen ließ es wirklich an nichts vermissen. Eine ohrenbetäubend laute Halle, 21 Zeitstrafen, das obligatorische Schimpfen beider Lager auf das Schiedsrichter-Duo, ein Zusammenprall zwischen Max Najmann und Schiedsrichter Torsten Weinert, der glücklicherweise glimpflich ausging, ein privater Zweikampf zwischen HSG-Keeper Steve Müller und HG-Spieler Robert Kreller - Spieler, Trainer und Fans brannten für dieses Spiel. Doch bei
Martin Lux hatte man das Gefühl, dass er noch fünf Grad heißer war, als alle Anwesenden in der restlos ausverkauften Sporthalle Krondorf. Nach dem Spiel, als Lux ausgepowert auf der Trainerbank saß, zufrieden über den 31:29-Auswärtserfolg, musste er erstmal nach Luft schnappen, ehe er auf Fragen antworten konnte. Was denn den Ausschlag gegeben hätte, dass die HG, obwohl sie den Großteil der Partie zurücklag, am Ende doch über den Auswärtssieg jubeln konnte? "Wir haben trotz der grottenschlechten ersten Halbzeit immer an uns geglaubt, nie aufgegeben und hatten eine tolle Unterstützung durch unsere Fans."
Aus der von Lux als "grottenschlecht" bezeichneten ersten Hälfte ging die HG nur mit einem Rückstand von einem Tor (14:15) in die Kabine. Doch hätte Wolfen nicht in den letzten acht Minuten das Torewerfen komplett eingestellt, wer weiß, wie die Partie ausgegangen wäre. Denn Köthens Prunkstück, die Verteidigung, funktionierte nicht so, wie zuletzt. Das war vor allem in den frischen, zielstrebigen Angriffen der HSG begründet. "Da war ja fast jeder Schuss ein Treffer", sagte HG-Trainer Mario Schellbach. Und tatsächlich war die von HSG-Trainer Wolfgang Spitz zuletzt häufig kritisierte Wurfeffizienz in der ersten Halbzeit hoch. Wolfen spielte variantenreich, wirkte gut eingestellt und kam von allen Positionen zum Erfolg. "Man muss Wolfen ein Kompliment machen", sagte Spielertrainer Ralf Stojan, "die haben einen guten Handball gespielt."
Doch Sieg und Niederlage entscheiden sich bei einem Derby nicht unbedingt dadurch, wer besser gespielt hat. Je länger die Partie andauerte, umso mehr machte sich das Gefühl in der Halle breit, dass Köthen als Sieger vom Platz gehen würde. Köthen gelangen vermehrt Treffer in Unterzahl, Wolfen behielt bei eigener Überzahl nicht die Ruhe, die dezimierten Gäste auszuspielen. "In den kritischen Phasen hatten wir keine Geduld", bemängelte Wolfgang Spitz. Sein Präsident Siegfried Seidig, der mit dem Schlusspfiff klatschend auf das Spielfeld ging und jedem Spieler die Hand schüttelte, empfand: "Köthen war selbstbewusster. Das war das Quäntchen."
Nun gegen die drei "Großen"
Steve Müller, Wolfens Keeper, der eine starke Partie gezeigt hatte, ging kopfschüttelnd in Richtung Kabine. Was den Ausschlag für die Niederlage gegeben hätte? Müller grinste resigniert. "Dazu sage ich lieber nichts." Der Frust saß tief. "Es ist echt zum Verzweifeln, wenn du immer knapp verlierst", sagte Florian Spitz. Mit sechs Pleiten in acht Spielen steht die HSG auf einem Abstiegsplatz.
Köthen schwimmt hingegen weiter auf der Erfolgswelle. Punktgleich mit dem Tabellenführer kommen nun die Spiele gegen die drei "Großen" Freiberg, Bad Blankenburg und Dresden. "Da wollen wir mindestens vier Punkte holen", gab Mario Schellbach schon mal das Ziel vor. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man sich nur schwer vorstellen, dass die HG 85 Köthen überhaupt einmal verliert.
Schwache Köthener am Ende glückliche Gewinner (31:29, Halbzeit 14:15) In einem zerfahrenen, vom Favoriten HG 85 Köthen schwach vorgetragenen Spiel unter der Leitung der den Durchblick völlig verlorenen Schiedsrichter Weinert/Panfil wurden am Ende noch zwei Punkte eingefahren, die kaum noch jemand für möglich hielt.
Die Wolfener führten in der 1. Halbzeit zeitweise mit fünf Toren, weil die Köthener serienweise ihre herausgespielten Chancen versiebten und beide Torhüter völlig von der Rolle waren.
Am Samstag kommt es zur mit Spannung erwarteten Partie im Kreis Anhalt-Bitterfeld. Schaut man nur auf die Tabelle, könnte man zu der Überzeugung gelangen, dass der Sieger nur Köthen heißen kann. Aber Wolfen zu unterschätzen, wäre sehr fahrlässig. Die HSG spielt einen guten und schnellen Handball und wurde in den vergangen Spielen unter Wert geschlagen. Dadurch sind die Wolfener etwas unter Druck und werden sicher alles tun, um die HG zu schlagen. Ein schönes Spiel wird es wahrscheinlich nicht, dazu ist einfach die Brisanz in solch einem Derby zu groß. Alle Fans beider Teams können sich aber sicher sein, dass ihre Mannschaften bis zur letzten Sekunde um jeden Ball, jedes Tor kämpfen werden.
Wolfen hatte nach der letzten Saison vier Abgänge und auch vier Zugänge. So kamen Stefan Claus, Benedikt Schmidt, Stefan Gragertund Felix Randt zur HSG.
Derzeit beste Torschützen bei Wolfen sind Raik Baumbach 41Tore, Max Najmann 36 Tore, Lutz Lindner 36 Tore, Jan Bernhardt 22 Tore.
Die HG hat derzeit einige Personalprobleme: Maik Mischek fehlt wegen Krankheit. Ob Denny Friedl (Rippenprellung) und Martin Lux (Knieprobleme) spielen können und wie lange, ist ungewiss. Des Weiteren stehen Martin Müller und Lucas Binder (Zweitspielrecht Leipzig) nicht im Kader für Samstag.
Quelle: HP HG Köthen
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WOLFEN/MZ. 546 Tage: So lange ist das letzte Derby zwischen der HSG Wolfen und der HG 85 Köthen her. Damals, am 1. Mai 2010, trennten sich die Wege. Köthen qualifizierte sich für die 3. Liga, Wolfen stieg in die Mitteldeutsche Oberliga ab. Am Samstag (18.30 Uhr) gibt es nun in Wolfen-Krondorf das Wiedersehen. Ein Prestigeduell, bei dem es nicht nur um Punkte geht. Grund genug, um die Teams ausführlich miteinander zu vergleichen.
Tor: Steve Müller / Stefan Claus (HSG) - Sebastian Loske (HG)
Die HSG Wolfen verfügt über keine klare Nummer eins. Steve Müller ist die zweite Saison dabei, Stefan Claus seit dieser Spielzeit. Beide Torhüter bekamen in etwa gleich viele Spielanteile. Richtig auszeichnen konnten sie sich bisher nicht. Sebastian Loske ist hingegen die klare Nummer eins bei der HG 85 Köthen. Seine Leistung ist aber bisher unkonstant. Vor allem zu Saisonbeginn blieb er weit hinter seinem Potential zurück. Doch seit dem fünften Spieltag stabilisiert er sich und war ein wichtiger Faktor für den Sieg in Ziegelheim.
Die Aufbauposition ist bei beiden Mannschaften mehrfach besetzt. Florian Spitz und Maik Mischek gelten jedoch als die Spezialisten auf dieser Position. Der erfahrene Mischek kam vor der Saison von TuS Radis zurück in die Bachstadt und überzeugte durch ruhiges, routiniertes Spiel. Kritisieren kann man die fehlende Torgefahr. Ähnliches gilt bei seinem Gegenüber Florian Spitz. Er hat immer ein Auge für den Nebenmann, vergisst dabei aber zu oft den eigenen Abschluss. In der Defensive sind beide eher unauffällig, wobei Mischek gerne mal als Heißsporn auftritt.
Wertung: 2:2
Rückraum links: Lutz Lindner (HSG) - Andreas Dominikovic (HG)
Der Kapitän der HSG Wolfen ist so etwas wie das Sinnbild der bisherigen Saison der Fuhnestädter - das Können blitzte auf, wenn es darauf ankam, flatterten jedoch die Nerven. Lindner strahlt Gefahr aus dem Rückraum aus, wenn er an seine eigene Stärke glaubt. Tut er das nicht, wird er unsichtbar. Andreas Dominikovic versteckte sich bisher nicht. Zu Saisonbeginn noch etwas hölzern, kommt der Kroate immer besser in Fahrt. Zuletzt gelangen ihm 18 Tore in zwei Spielen.
Wertung: 2:3
Rückraum rechts: Denny Winkel / Jan Bernhardt (HSG) - Robert Kreller / Martin Lux (HG)
Von dieser Position geht bei beiden Mannschaften die wenigste Gefahr aus. Jan Bernhardt war zwar hauptverantwortlich für die Aufholjagd und den Sieg gegen Erfurt, blieb in den übrigen Spielen aber meistens blass. Denny Winkel konnte bisher nicht so zum Einsatz kommen, wie er wollte. Verletzungen ließen das nicht zu. Bei der HG spielt seit dieser Saison Robert Kreller auf der rechten Halbposition. Gefährlich ist er aber weniger im Positionsangriff, sondern bei Tempogegenstößen. Martin Lux kommt in dieser Spielzeit öfter im Angriff zum Einsatz. Seine Qualitäten dort sind die gleichen wie in der Defensive: Er geht dahin, wo es wehtut.
Wertung: 2:4
Linksaußen: Max Najmann (HSG) - Denny Friedl (HG)
Beide Spieler ähneln sich dahingehend, dass sie fast alle Positionen spielen können. Najmann kommt vorzugsweise als Linksaußen, Friedl wurde für diese Position geholt, wird aber auch häufig im Rückraum eingesetzt. Beide Spieler ähneln sich auch in ihrer Torgefährlichkeit. Der gravierende Unterschied ist: Friedl braucht deutlich weniger Versuche für seine Tore.
Wertung: 2:5
Rechtsaußen: Raik Baumbach (HSG) - Robert Wagner (HG)
Baumbach ist das Kampfschwein der HSG. Seit Monaten plagt er sich mit einem gereizten Knie herum. Nicht eine Woche vergeht, in der er mit dem Training kürzer treten muss. In den Spielen merkt man ihm seine Beschwerden aber nicht an. Er spielt fast immer durch und ist mit 42 Toren der erfolgreichste Torschütze Wolfens. Robert Wagner kann bei dieser Zahl nicht mithalten. Es ist einfach nur schön, ihn wieder häufiger auf dem Feld zu sehen. Muskuläre Probleme ließen dies in der vergangenen Saison nicht zu. Seine Leistungskurve zeigt nach oben. Dennoch: Punkt für Wolfen.
Wertung: 3:5
Kreis: Hendrik Hein (HSG) - René Uelsmann (HG)
Würde René Uelsmann in Topform spielen, ginge der Punkt an die HG. Uelsmann ist davon jedoch momentan weit entfernt. Der Kapitän fiel zuletzt mit einigen Unkonzentriertheiten vor allem im Angriff auf. Defensiv reiht er sich aber in die gute Mannschaftsleistung ein. Hendrik Hein dürfte nach einer fiebrigen Erkältung wieder fit sein. Er gibt der HSG solide Defensive und das eine oder andere Tor am Kreis.
Wertung: 4:6
Trainer: Wolfgang Spitz (HSG) - Ralf Stojan / Mario Schellbach (HG)
Wolfgang Spitz steht seit Jahren an der Seitenlinie und genießt hohes Ansehen bei seinen Spielern, aber auch bei seinen Kollegen. Er hat der Mannschaft mehrere Systeme beigebracht, die Umsetzung hapert jedoch bisher in dieser Saison. Das Trainerduo der HG, bestehend aus Spielertrainer Ralf Stojan und Mario Schellbach, hat bisher nur Höhen erlebt. 13:1-Punkte sprechen für sie. Die richtig schweren Brocken kommen aber erst noch. Für beide ist es das erste HSG-HG-Derby von der Seitenlinie aus. Auch deshalb geht der Punkt nach Wolfen.
Wertung: 5:6
Präsident: Siegfried Seidig (HSG) - Andreas Auerbach (HG)
Zwei Präsidenten, die sich nicht mehr unterscheiden könnten. Hier der besonnene Seidig, der sich die Spiele seiner Mannschaft immer aus einiger Entfernung ansieht. Dort der dampfende Andreas Auerbach, der auswärts immer auf der Bank sitzt und dessen Stimme häufig zu hören ist. Beide Präsidenten prägten und prägen das Bild ihres Vereins, so dass es in diesem Duell keinen Sieger geben kann.
Wertung: 6:7
Nach der (subjektiven) Bewertung wird sich am Samstag also die HG 85 Köthen durchsetzen. Das Tabellenbild unterstreicht dies. Doch beide Seiten wissen: Bei einem Derby wird alles, was war, ausgeblendet. Alles ist möglich.
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